
05 Dez Das Bauchgefühl der Wertpapierhändler
Eine Studie legt nahe:
Wer auf seinen Körper hört, ist im hoch umkämpften Terminhandel erfolgreicher.
George Soros, der legendäre Hedgefondsmanager und Multimilliardär, verlässt sich nicht auf seinen Bauch. Er verlässt sich auf seinen Rücken. „In einem Hedgefonds muss man ständig Urteile in einem risikoreichen Umfeld fällen, und das kann sehr aufreibend sein. Ich litt unter Rückenschmerzen und anderen psychosomatischen Beschwerden und habe genauso viele brauchbare Signale von meinen Schmerzen bekommen wie von meiner Anlagetheorie“, schrieb Soros vor einigen Jahren. Sein Sohn Robert bestätigt das. Der Vater habe zwar immer vernünftige Erklärungen und Theorien für seine Anlageentscheidungen vorgebracht. Der eigentliche Grund aber seien die aufkommenden Rückenqualen gewesen, die Soros als frühes Warnsignal interpretierte.
Eine aktuelle wissenschaftliche Studie suggeriert nun einen Zusammenhang zwischen Erfolg an den Finanzmärkten und der Fähigkeit von Wertpapierhändlern, sensibel auf Signale ihres eigenen Körpers zu reagieren. Demnach verdienten Wertpapierhändler, die ihren eigenen Herzschlag besser spüren konnten, mehr Geld und überlebten in ihrem stressbetonten Beruf länger als Konkurrenten, die weniger sensibel sind. „Händler sprechen oft davon, wie wichtig das Bauchgefühl ist“, heißt es in der Studie. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Bauchgefühle, die zu den Entscheidungen führten, mehr sind als Mythen der Finanzwelt – es sind echte physiologische Signale, die noch dazu nützlich sind.“
Die Ergebnisse der Studie könnten in einer immer mehr von Computerprogrammen dominierten Börsenwelt menschlichen Händlern möglicherweise ihre Arbeitsplätze garantieren. Die Studie widerspricht zudem der Theorie effizienter Märkte, die davon ausgeht, dass es unmöglich ist, die Finanzmärkte mit menschlichen Qualifikationen wie Intelligenz oder Ausbildung zu schlagen.
Der Fachbegriff für die Wahrnehmung physiologischer Signale des Körpers, darunter Hunger, Schmerz oder Herzschlag, heißt Interozeption. Studien der Vergangenheit haben herausgefunden, dass Menschen, die etwa den Herzschlag sensibler wahrnehmen, in risikoreichen Situationen bessere Entscheidungen treffen. Mit dem aktuellen Forschungsbericht, der Anfang der Woche in der Fachpublikation „Scientific Reports“ veröffentlicht wurde, wollten die Autoren diese Erkenntnisse in einem Feldversuch auf die Finanzmärkte übertragen. Der Titel des Artikels macht eine klare Aussage: „Interozeptive Fähigkeiten prophezeien, wer in einem Londoner Handelssaal überlebt.“ Initiiert wurde die Studie von John Coates, der länger als ein Jahrzehnt Derivate, also komplexe, von herkömmlichen Wertpieren abgeleitete Finanzprodukte, für Goldman Sachs und die Deutsche Bank gehandelt hatte. Bis vor kurzem forschte Coates im Bereich Neurowissenschaften an der britischen Universität Cambridge.
Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung
Die Testpersonen waren 18 männliche Händler bei einem mittelgroßen Hedgefonds in London. Die Männer handelten Terminkontrakte auf Anleihen und hielten ihre Positionen nur kurz, manche für Sekunden oder Minuten, aber nie länger als ein paar Stunden. Diese Art von Geschäft verlangt, dass Händler große Mengen von Informationen wie Nachrichten oder Preistrends schnell verarbeiten, um in Sekundenbruchteilen Entscheidungen zu treffen. Es handele sich um eine „besonders unerbittliche“ Nische der Finanzmärkte, heißt es in der Studie. Erfolgreiche Händler könnten mehr als 10 Millionen Pfund im Jahr verdienen. Händler, die Geld verlören, überlebten in diesem Umfeld aber nicht lange. Die Studie fand 2012 vor dem Hintergrund starker, von der europäischen Staatsschuldenkrise ausgelöster, Marktschwankungen statt.
Um die Sensibilität auf ihre Körpersignale zu testen, mussten die Händler ihre Herzschläge zählen, ohne die Hand auf die Brust zu legen oder an anderen Stellen den Puls zu fühlen. Gleichzeitig wurde der Herzschlag gemessen. Die Ergebnisse wurden mit denen einer Kontrollgruppe von 48 Männern verglichen, die nicht aus der Finanzbranche kamen. Der in der Studie namentlich nicht genannte Hedgefonds gab den Autoren der Studie zudem Informationen über die Gewinne und Verluste der Händler und über die Länge ihrer Karriere.
Die Hedgefonds-Mitarbeiter schnitten bei diesem Test deutlich besser ab als die Kontrollgruppe. Je akkurater die Händler ihren eigenen Herzschlag spürten, desto profitabler waren ihre Entscheidungen. Und: Je länger ein Händler seinem Beruf nachging, desto akkurater konnte er seinem Herzschlag folgen. „Es ist unglaublich, dass der Markt möglicherweise auf diese Weise eine Auslese trifft“, sagt Coates, dass also möglicherweise nur Händler mit hohen interozeptiven Fähigkeiten lange und erfolgreich in ihrem Beruf überlebten. „Hier gibt es diesen wirklich großen Vorteil im Markt, und niemand weiß davon.“
Die Autoren der Studie wollten allerdings nicht so weit gehen, eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung herzustellen. „Unsere Studie, in ihrer Eigenschaft als Feldforschung, konnte keine Kausalität nachweisen“, hieß es. So könnte es sein, dass allein die Arbeit in einen stressigen Umfeld wie Wertpapierhandel die Angestellten sensibler für ihre Herzfrequenz werden lässt. Dazu fanden die Forscher auch heraus, dass Händler mit einem geringeren Körpermasseindex und niedriger Pulsfrequenz, also Leute in guter körperlicher Verfassung, ihren Herzschlag genauer wahrnahmen.
„Wir merken mehr und mehr, dass diese Dinge gottverdammt kompliziert sind“, kommentierte Bruce Even, der an der New Yorker Rockefeller University die Auswirkungen von Stress auf das Gehirn erforscht. Forscher Coates und seine Kollegen wiesen in der Studie allerdings auf mögliche Faktoren hin, über die Wissenschaftler in der Regel nicht nachdenken – wahrscheinlich, weil sie George Soros noch nie nach seinen Rückenschmerzen gefragt haben.